Tennis- und Sportakademie Rheinland

Fernschule – Sinn oder Unsinn?!

Veröffentlicht am 28. Juni 2022

Ehemaliger Landestrainer und heutiger TuS Rheinland Chef Bijan Wardjawand im Gespräch

Man schürt den Eltern Hoffnungen und baut Träume auf, doch eine gute deutsche Rangliste ist meistens kein Erfolgsgarant für eine internationale Karriere.

Unterstützt von ihren verantwortlichen Trainern, folgen immer mehr Spieler/innen bereits in frühen Jahren dem Trend eine Fernschule zu besuchen und von der Regelschule abzugehen- davon kann ich (in den meisten Fällen) nur dringend abraten.

Die Zahl derer, die am Ende mit einem solchen System durchkommen und vom Tennissport leben können, geht gegen null. Nur wenn eine internationale Karriere schon vorgezeichnet ist, sollte ein derartiger Weg eingeschlagen werden. Bei allen anderen kauft man einen unendlich hohen Stressfaktor mit ein, sehr hohe Erwartungen, mögliche körperliche und mentale Überbelastungen und fehlende soziale Kontakte. Einfach gesagt, entspricht dies keiner kindgemäßen Entwicklung. Auf der Gegenseite liegt der reine Nettogewinn bei lediglich 4 bis 5 Stunden Trainingszeit pro Woche. Hierbei ist jedoch fraglich, ob diese überhaupt in jungen Jahren benötigt werden bzw. toleriert werden können.
Folglich sollte über intelligente Trainingsmodelle nachgedacht werden, um ein mögliches „Trainings-Gap“ zu reduzieren:

  • Training vor der Schule, an Feiertagen & Wochenenden
  • Spieler/in trainiert zweigleisig am Nachmittag

Bei der Auswahl der Spieler/Innen ist ganz genau darauf zu achten, wer überhaupt für ein solches Konzept in Frage kommt. Die einzige Spielerin, die in meiner 25 jährigen Laufbahn als Verbandstrainer erfolgreich von der Schule abgegangen ist, war Anna-Lena Friedsam (ehemals Top 50 der Welt). Anna-Lena wurde in ihrer Jugendzeit dreifache deutsche Meisterin, positionierte sich mit 15 Jahren an Position 20 der ITF Jugend-Weltrangliste und nahm daher sehr früh an allen Jugend Grand-Slam Turnieren teil. Gewisse leistungsdiagnostische Parameter waren für das Damentennis außerordentlich gut ausgeprägt. Zudem wurde alles von mir persönlich koordiniert und abgestimmt, jeder Schritt war durchdacht und die langfristige Karriereplanung inkl. Sponsoring für die Lebensjahre 15-19 abgesichert. Dadurch waren die internen und externen Voraussetzungen gegeben. Allen anderen Spielern, ob Jan Choinski, Julian Dehn, Leandro Toledo, Constantin Schmitz etc., habe ich von diesem Weg abgeraten, obwohl sie alle zum Bundeskader gehörten und nationale und internationale Erfolge aufweisen konnten. Diejenigen, die trotzdem den Weg eingeschlagen sind, und nur „semi-professionell“ betreut wurden, kamen nicht an.
Eins ist klar, eine gute deutsche Rangliste (Top 5) ist nicht gleichzusetzen und kein Erfolgsgarant für internationale Erfolge. Bei vielen Spielern und auch Eltern werden Träume geweckt, obwohl man im Vorfeld bereits einschätzen kann, dass viele Parameter dagegen sprechen. Hier nehme ich die verantwortlichen Trainer in die Pflicht. Auch hier könnte man regional Namen aufführen, die diesen Weg eingeschlagen sind, die sportlichen Erfolge jedoch ausblieben.

Die Trainer, die solche Empfehlungen aussprechen und damit Träume/Erwartungen bei den Eltern und Spielern wecken, verfügen oftmals über kaum internationale Erfahrungen bzw. können nicht selbst einschätzen und beurteilen, welche Parameter bei Spielern/Eltern/Umfeld usw. gegeben sein müssen. Daher ist es wenig verwunderlich, dass die Mehrzahl der Spieler/innen dieser Zielsetzung nie gerecht werden kann.

Doch wie sollte ein Weg bis zur Spitze beispielhaft aussehen?

Nachdem sich ein Spieler mit 13 oder 14 Jahren dazu entschlossen hat Profi zu werden, müssen zunächst die wesentlichen Parameter geklärt werden:

  • Wer ist der verantwortliche Trainer?
  • Bringt der Spieler die Fähigkeiten mit, um den Weg auf Tennis Europe oder ITF Ebene zu gehen?
  • Kennt er den Weg oder kennt er ihn nur vom Erzählen?
  • Werden leistungsdiagnostische Untersuchungen eingeplant?
  • und vieles mehr …

Danach müssen klare Zeitfenster gesetzt werden, in denen gewisse Leistungsschritte (auch in Form von internationaler Rangliste TE/ITF) vollzogen werden. So sollten Spieler/innen im letzten Jahr ITF (U 18) bei den Junior Grand Slams mitspielen. Denn statistische Untersuchungen belegen, dass die Top 20 ITF Spieler/innen eine erhöhte Wahrscheinlichkeit haben, später in die Top 100 der Welt (WTA/ATP) vorzustoßen.

Um nach der Jugendrangliste in der WTA/ATP Rangliste Fuß zu fassen und den Weg bis zur TOP 100 gehen zu können, benötigen Frauen ein Minimum von 3-4 Jahren, die Männer hingegen ein Minimum von 4-5 Jahren. Somit müssen spätestens im direkten Übergang vom Jugend- in den Erwachsenenbereich weitere Parameter feststehen:

  • Wer begleitet diesen Weg über 5 Jahre?
  • Hat man die finanziellen Ressourcen (ca. 30.000-40.000 Euro/Jahr)?
  • Welche Sparring-Partner stehen zur Verfügung?
  • Wer koordiniert die Trainingsplanung (Tennis, Fitness)?
  • Wer betreut die Turniere?
  • Wer koordiniert die Turnierplanung?
  • Hat der Trainer genügend Erfahrung und die Expertise diesen Weg zu begleiten?

Wenn eine oder mehrere dieser Fragen unbeantwortet bleiben, ist das Geschäft mittlerweile so professionell, dass der Weg erst gar nicht eingeschlagen werden sollte. Alle „Semi-Professionellen“ werden am Ende der Reise nicht ankommen, werden also nicht davon leben können. Davon leben können Spieler ab der Top 100 bei den Männern und Top 80 beiden Frauen. Alles andere ist am Ende des Tages mehr oder weniger eine brotlose Kunst.

Da im regionalen Bereich die Trainer über kaum internationale Erfahrung, weder als Spieler noch als Trainer, verfügen, empfehle ich allen Eltern sich eine zweite Expertise einzuholen, bevor man diesen Schritt einschlägt.

B.Wardjawand

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